ZURÜCK

 

 

Laudatio von Michael Krüger zur Verleihung des Adelbert-Chamisso-Preises                                                            an Ilma Rakusa, 20. Februar 2003, Bayerische Akademie der Schönen Künste München

In einem seiner Reisetagebücher - ich habe leider vergessen, in welchem – notiert der Patron unseres schönen, will sagen: nützlichen, nein: notwendigen und im Laufe der zunehmenden Entgrenzung Europas immer notwendiger werdenden Preises – notiert also der große Naturforscher und Schriftsteller Adelbert von Chamisso, er habe „hawaiisch“ geträumt – das heißt er hat nicht von Hawaii geträumt, wie das bis heute viele tun, die ihrem Eskapismus wenigstens im Schlaf fröhnen, sondern „auf hawaiisch“. Ich hatte mir das damals, bei der Lektüre der naturkundlichen Schriften Chamissos, als besonders exzentrisch und irritierend notiert, und wenn ich ehrlich bin, ist es der einzige handfeste Erinnerungsrest meiner Jahrzehnte zurückliegenden, begeisterten Lektüre geblieben. Er hatte also weder auf französisch geträumt, was uns nicht weiter verwundert hätte, noch auf deutsch, was im Urwald merkwürdig genug gewesen wäre, weder auf lateinisch, was ich wiederum gut verstanden hätte, weil er die von ihm neu entdeckten Pflanzen täglich in lateinischer Sprache benennen mußte, damit sie ihren Platz im Klassenzimmer des Linnéschen Systems einnehmen konnten, weder auf griechisch oder englisch oder spanisch, nein: auf hawaiisch.

Als ich gebeten wurde, zur Verleihung des schönen und notwendigen Chamisso-Preises an Ilma Rakusa ein paar freundliche Worte zu sagen, fiel mir Chamissos Traum wieder ein – und sofort wollte ich die Preisträgerin anrufen und fragen, in welcher Sprache sie träume. (Natürlich habe ich sie nicht angerufen, weil eine Laudatio wenigstens eine wenn auch noch so kleine Überraschung enthalten sollte.) Denn bei Ilma Rakusa liegen die Dinge noch etwas komplizierter als bei dem Leiter der königlichen Herbarien und preußischen Beamten Adelbert von Chamisso, der in den Revolutionswirren nach Deutschland kam und seine Heimatlosigkeit einem Mann ohne Schatten anvertraute. Man darf sich gar nicht vorstellen, wie Ilma Rakusa träumt. Denn wenn wir annehmen, daß nicht nur die verdrängten, weil verbotenen Wünsche in unseren Träumen ihre eigene, oftmals drastische Sprache sprechen, sondern sich auch anderes Gehör verschaffen will, was uns tagsüber affektiv in den Klauen hält (z.B. als Arbeit), dann hätte Ilma Rakusa gute Gründe, nie ins Bett zu gehen, um sich dem sowieso schlafraubenden babylonischen Durcheinander verschiedener Sprachen in ihren Träumen nicht aussetzen zu müssen. Denn nicht genug damit, daß die Sprache ihrer Mutter Ungarisch, die Sprache ihres Vaters Slowenisch war, sie mußte auch noch, um den frühen Beweis für die späte Ehrung mit dem Chamisso-Preis zu erbringen, in Budapest, Laibach und Triest ihre Kindheit verbringen, in Städten also, in denen das erschrockene und gedemütigte Bürgertum immer noch auch deutsch sprach und die neue Bürokratie ihre ersten zaghaften Russisch-Stunden nehmen mußte, um fortan kyrillische Alpträume zu haben. Und in Triest, dem ehemaligen einzigen Meerhafen der k.u.k.-Monarchie, sprach man sowieso alles durcheinander, wobei das Italienische immer deutlicher wurde. Es gab, nehme ich einmal an, viel zu verarbeiten und zu verdrängen und mithin viel zu träumen bei dem Kind Ilma, dem Nachkriegskind, das, nehme ich weiter an, sowieso zum Träumen neigte, zum Tag- und Nachtträumen in vielen Sprachen, sonst wäre ja keine Schriftstellerin aus dem Kind geworden. Ob es, im Hinblick auf die Sprache ihrer Träume, von Vorteil war, in der Schweiz in die Volksschule und aufs Gymnasium zu gehen, muß sie uns selbst beantworten, als Traumforschungslaie stelle ich es mir allerdings grauenhaft vor, die stattliche Summe der Abschiede, die die junge Ilma schon hinter sich hatte, auf Schwyzerdütsch zu bewältigen und abzuarbeiten. Kein Wunder also, in meiner offiziell mitleidenden, in Wahrheit natürlich neidischen Perspektive, daß Ilma Rakusa sich nach der Beendigung ihrer naturgemäß raschen Aneignung des Schwyzerdeutschen und nebenbei auch des Deutschen, wozu sie eben nicht, wie unsereins, ein ganzes Leben, sondern nur ein paar wenige Jahre benötigte, kein Wunder also, daß sie Slawistik unter anderem in Leningrad, heute wieder St. Petersburg, studierte, um endlich mal eine neue Sprache zu lernen, und Französisch in Paris, weil diese Sprache, wie Sie sich erinnern werden, bisher noch nicht vorkam. Russisch und Französisch, das wurden, neben dem Deutschen, die Arbeitssprachen: aus dem Russischen hat Ilma Rakusa die Prosa, die Briefe und ein Versdrama von Marina Zwetajewa übersetzt und ediert, daneben unter anderem die wunderbaren Erzählungen von Michail Prischwin und die Prosa von Alexej Remisow. Aus dem Französischen hat sie viele Bücher von Marguerite Duras ins Deutsche übertragen, unter anderem den Liebhaber, der angeblich im Deutschen besser liebt als im Original. Und um ihre diversen Muttersprachen nicht zu vergessen, hat sie auch Texte von Imre Kertész und Péter Nádas übersetzt, oder, wofür ich ihr ewig dankbar sein werde, die Romane und Erzählungen des unvergessenen Danilo Kiš, ihrem Bruder im Geiste. Ich erspare mir, weil sich die Jury dieses schönen, wichtigen, auch in Zukunft unverzichtbaren Preises bei ihrer Wahl von Ilma Rakusa bereits damit beschäftigt hat, hier die Editionen aufzuzählen, die vielen Essays und Kritiken aus Neue Zürcher Zeitung und DIE ZEIT, ihre tägliche Arbeit gewissermaßen, für die man ein Honorar, aber selten Preise bekommt. Wenn ich Kulturminister geworden wäre, hätte ich die Preise und Ehrengaben gerade für diese Arbeiten um mehrere Hundert Prozent angehoben. Denn die Sorgfalt und – verzeihen Sie den pathetischen Ausdruck – die Hingabe, mit der Ilma Rakusa diese Arbeiten ausführt, sind Ausdruck eines Respekts für andere Sprachen, der aller Ehren und Ehrengaben wert ist, gerade von denjenigen, die oft nur mit Mühe die eigene Sprache beherrschen.

Sie werden sich, meine Damen und Herren, gewiß schon gefragt haben, warum eigentlich die Sprache bislang ausgespart wurde, in der wir uns alle, wenn auch dilettierend, unterhalten können, die europäische Einheitssprache, die Weltsprache, das Englische. Gemach. Denn das Englische spielt nun, wenn Ilma Rakusa den Preis für Deutsch als Fremdsprache erhalten soll, eine wesentliche Rolle. Ihr letztes Buch, ein poetisches Buch der Klagen und Anklagen, der Liebe und des Liebesverrats, der Sehnsucht und der Sehnsuchtsvernichtung hat nicht nur einen englischen Titel, Love after love, sondern es ist gewissermaßen in zwei Sprachen geschrieben, auf deutsch und auf englisch. Ganz offensichtlich ist der Mann, dem hier nachgeflucht und nachgeflüstert wird, mit dem die Klagende eine flüchtige, aber intensive Beziehung gehabt hat, ein Engländer oder Amerikaner, auf jeden Fall ein Deserteur der Liebe, der nur englisch versteht. Für den, der die titanische Anstrengung des Verliebtseins auf sich nimmt, ist das Erlernen einer neuen Fremdsprache wahrscheinlich ein geringes Problem, aber hier, in Ilma Rakusas Klagen, in denen das Hohe und das Niedrige der Liebe verhandelt wird, wo es darauf ankommt, daß der Verfluchte von seinen eigenen Worten getroffen wird und hoffentlich umfällt vor heißer Scham, hier muß ein Englisch gesprochen werden, das der Situation angemessen ist. Es ist, als wollten im Gedicht die beiden Sprachen einen Wettstreit ausführen, welche besser geeignet ist, das Begehren und die Verletzung auszudrücken. So gibt ein Wort das andere, ein deutsches Wort saugt ein englisches an und umgekehrt, aber am Schluß, wenn alles vorbei und vorüber, wenn die Liebe ins Wasser der Lagune von Venedig gefallen und ertrunken ist, bleibt natürlich die deutsch gefaßte Trauer übrig: „so spült das Wasser / jeden Himmel weg“.

Eine starke Klage, ein trauriges Buch, weil am Ende allein die Sprache über den Verlust der Liebe siegt, die Sprache, die vor uns da war, die wir eine Weile lang ausleihen dürfen und die uns ungerührt überlebt. Es ist das Schicksal der großen Liebe, daß sie nur im Gedicht auf Dauer gewinnt. Andererseits ist das auch gut so, wie wir alle wissen, weil bei stark andauernder Liebe die meisten Dichter nichts mehr zu tun hätten.

Meine Damen und Herren – wer das Glück hatte, sich im Ausland einmal in der Nähe von Ilma Rakusa aufhalten zu dürfen, kennt auch den Neid, der als dunkler Schatten dieses Glück begleitet. Sie kann nicht nur ihr Essen in acht Sprachen bestellen, sondern liest auch die Literatur der verschiedenen Länder im Original. Wenn man neben ihr im Restaurant sitzt und den Kellner von den eigenen Sprachkenntnissen überzeugen will, kann es passieren, daß der Genervte in unserer Sprache zurückfragt, was wir trinken wollen. Natürlich spricht der Kellner deutsch, italienisch, spanisch und wahlweise albanisch oder arabisch, wie wir es von unseren Putzleuten zu Hause gewohnt sind. Was in Europa einmal selbstverständlich war, daß man nämlich die wichtigsten Sprachen des Kontinents sprach, gilt heute nur noch für die Armen, die das Erlernen der Sprache für ihr Überleben brauchen – wenn sie bei uns überleben wollen dürfen.

Damit bin ich am Ende – ohne die wichtigste Frage des Abends geklärt zu haben: in welcher Sprache nämlich träumt Ilma Rakusa? Wenn man die Dichterin mit ihrem – altmodisch gesprochen: giocondahaften – Lächeln anschaut, dann kann man natürlich ahnen, in welcher Sprache sie träumt, aber nicht einmal einem Laudator steht es zu, öffentlich darüber zu spekulieren.

Michael Krüger

ZURÜCK

ILMA RAKUSA