ILMA RAKUSA
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Pressestimmen zu “Mehr Meer” Diesem Buch darf man sich getrost anvertrauen, besser noch: Man möchte sich ihm völlig überlassen. Der Untertitel bezeichnet das Werk mit schöner Genauigkeit. Es sind keine Memoiren, sondern autobiografische Miniaturen, fein geschliffene Splitter, in denen sich die Welt spiegelt. Nicht das erzählende Ich steht im Vordergrund, viel- mehr das Erfahrene, Bedachte, das buchstäblich Wahrgenom- mene: Kindheitsszenen, verdichtete Reisebilder, Begegnungen mit Menschen, Städten und Landschaften. Vor allem auch in europäischen Osten und immer wieder: am Meer. Ilma Rakusa, die Schriftstellerin und Übersetzerin, verkörpert jenen Geist Mitteleuropas, der langsam zu verschwinden droht. Geboren in der Slowakei als Tochter eines slowenischen Vaters und einer ungarischen Mutter und längst in Zürich ansässig, ist sie in vielen Orten, Kulturen und Sprachen heimisch - sei’s Budapest, sei’s Ljubljana, sei’s Triest, Paris oder St. Petersburg, vormals Leningrad. Dass in der Poetin Ilma Rakusa eine Musikerin steckt, vermögen ihre Texte nie zu verhehlen: Rhythmus und Melodie der Sätze haben etwas Bezwingendes. Ulrich Weinzierl in WELT/ONLINE

Die Erinnerung verfährt nach eigenen Gesetzen. Ob Menschen oder Plätze, Fehler oder Freuden im Gedächtnis haften bleiben, lässt sich kaum steuern. Wie wenig das Ich Herr im Hause ist, kann jeder ganz ohne Psychoanalyse an sich selbst erfahren: Er muss nur das eigene Leben zum Gegenstand des Erzählens machen. Was ihm da entgegentritt, das ist er selbst in Form eines Überraschungspakets. Ilma Rakusa, Schritstellerin und Übersetzerin, hat in ihren “Erinnerungspassagen” in Form gebracht, was von mehr als 60 Jahren Reisen, Wandern und

 

Heimatsuche im Gedächtnis geblieben ist. Dass Ilma Rakusa auch Lyrik schreibt, merkt man den Sätzen auf’s glücklichste an. Die Stimmung ist das Material ihrer Erinnerung, herbeigezaubert durch Worte, Gerüche und Bilder. Wer Sinn für diese sanfte Art der Verführung hat, kann mit ihren Passagen durch Gegenwart und Vergangenheit eine süd-östliche Weltreise machen. SPIEGEL/ONLINE

Als Buch der Erinnerungen ist dies ein Buch vom Gehen, ein Buch vom Fahren, ein Buch vom Sehen: “Lies die Welt sagten meine Füße, sagten meine Augen.” Wer in der Bucht von Triest, die die perfekte Halbkreisform eines griechischen Theaters umfängt, über das adriatische Meer blickt, hat den Osten Mitteleuropas im Rücken, so wie Ilma Rakusa das verzweigte Netz ihrer Familiengeschichte, das bis ins litauische Wilna reicht. “Der Osten war unsere Bagage”, heißt es in knappem Stil, der weniger der Lakonie als einer fast durchweg parataktischen Syntax verpflichtet ist. Die Lektüre dieses außergewöhnlichen Buchs, das so recht kein Genre füllt, wird so zu einem geradezu musikalischen Ereignis, getragen von einem lyrischen Parlando, das sich zuweilen zu einem an Rap-Rhythmen erinnernden Stakkato steigert: “Wir fahren in die dunkle, weißrussische Nacht. Kein Mond, kein Birkenschimmer. Wir fahren schnurgerade nach Osten.

Über Länder und Gewässer, über Schranken und Grenzen. Dieses Buch ist ein langes Gedicht in 69 Strophen aus feinster, musikalisch gewirkter Prosa, am schönsten und gelungensten da, wo “Sand wie Land” - in konsequenter Einlösung des Titels zwei Meereslandschaften einander berühren, das Mittelmeer des Nordens und das des Südens: In der Lagune von Grado und auf der großen Düne hinter Nida auf der Kurischen Nehrung. Here, there and everywhere we are lost in transition. Volker Breidecker SZ

 

“Mehr Meer” ist ein Buch der Unruhe, randvoll mit Fatben, Klängen, Bildern, die Pflöcke in ein langes Unterwegsleben einschlagen. Die Apotheose dieses Buches, das mit dem Ohr ebenso wie mit den Augen gelesen werden sollte, ist Rakusas Begegnung mit der russischen Poesie in Leningrad, mit Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa, Michail Bulgakow, im Kreis junger Leningrader Intellektueller und Künstler der 1960er Jahre. So entsteht ein dichtes und lichtes Zeitgewebe, mehr Stimmung und Meditation, mehr Poem als Beschreibung, temperiert von Lektüren. Die namhaft gemachten Orte bleiben vage, verlieren ihre harten Umrisse, dürfen Literatur werden. Ein Wort trifft den Nerv dieser Erinnerungspassagen am besten: Liebe. Ilma Rakusa erzählt von ihrer Liebe zur Musik, zur Literatur, zur Schönheit der katholoischen Liturgie, zur Sehnsucht nach der Sehnsucht, die jedem Kunstgenuss vorausgeht, zu “mehr Meer” in uns. Beatrix Langner in der Neuen Zürcher Zeitung

Die 1946 in der Slowakei geborene Tochter einer Ungarin und eines Slowenen, die in Budapest, Ljubljana, Triest und Zürich polyglott und kosmopolitisch aufwuchs, erweist sich als fulminante Epochenverschlepperin, als Zeitzeugin einer mitteleuropäischen Nachkriegszeit, in der es dieses Mitteleuropa zwischen Ost und West gar nicht mehr geben durfte. Die Übersetzerin, Literaturkritikerin, Dichterin und passionierte Klavierspielerin segelt durch ein Kopfmeer der Erinnerungen, durch Episoden und Geschichten, die überall auch das Vorgestern und Vorvorgestern durchscheinen lassen. Immer wieder wird die Chronologie verändert, hängen andere Bilder im Raum, ein Innehalten im gedanklichen, sprachlichen und kulturellen Nomadisieren, um sich meditativ selbst auf der Spur zu sein.... Man liest die kurzen Texte gern, eine Poesie in Prosa, lakonisch, flüchtig, atonal, eine Reise durch ein halbes Jahrhundert in Siebenmeilenworten, Patina auf Schwarzweißbildern, ein Kandidat für ein Europa, das es so nicht mehr gibt. Sabine Berking in der FAZ

 

In der Unendlichkeit und dem Sehnen nach dem Mehr/Meer liegt aber nicht nur der Ausblick auf die unendlich scheinende Weite. Auch der Standpunkt eines von Ästhetik und Intellekt geprägten Lebens äußert sich darin. “Mehr Meer” projiziert die nicht endende Hingabe an die Wahrnehmung auch als imaginäre Bilderfolge auf eine imaginäre Leinwand: die Geschichte einer Forscherin, die immer weiter geschritten ist, von Kindes Beinen an, die weiter schreiten wird, weil das ihre Grundlage ist, einer Forscherin, der Lebenswelt nichts weniger als die Entdeckung neuer Horizonte bedeutet, sprachlich, geistig, ästhetisch, topografisch... Rakusa gelingt, was neben dem Schreiben über die Liebe das Schwerste überhaupt ist, das eigene entglittene Werden noch einmal - wie eine geheime Schrift - aufflackern zu lassen und glaubhaft zu entziffern, bevor das Bewusstsein wieder seine Gaze darüberbreitet. Ilma Rakusas Passagen erzählen davon, was sie erinnern macht und wie Erinnern geht, eine Überlistung der Gegenwart, die ersten Versuche als kindliches Spiel, wenn das Wort mit dem gesprochenen Lufthauch verklingt. “Im Wald spielte ich das Jetzt-Spiel. Ich rief ‘jetzt’, lauschte dem Echo und wusste, ‘jetzt’ ist vorbei. Kaum ausgesprochen, stürzt die Gegenwart in die Vergangenheit, als fiele sie rücklings ins Meer. Das Echo teilte die Zeit, der ich lauernd auf die Schliche zu kommen versuchte. An die Zukunft dachte ich nicht. ‘Jetzt’. Und wieder ‘jetzt’? Bis mir schwindlig wurde.” “Mehr Meer” ist nicht nur ein Plädoyer, auf die Tiefen des eigenen Speichers zu vertrauen und den eigenen Weg zu gehen. Weit über eine Aufzeichnung subjektiven Erlebens hinaus öffnen diese zwischen Vergangenheit und Gegenwart mäandernden Passagen den Blick dafür, dass das Zweite im Ersten beginnt und, kaum dass es begonnen hat, in jenes eingeht. Es ist auch ein Buch über den Fluss der Zeit, seine unterschiedliche Strömung. Ein Text, der innehalten lässt, während er den Leser umfließt. Barbara Bongartz in Die Presse.